Hannovers selbstverwaltetes Studierendenwohnheim


1994 - 1995: Von Architekten, Rechtsanwälten und Schamanen

Obwohl: Zaubern konnten sie alle!

Und ab ins kalte Wasser. Wir hatten gerade die Bestätigung vom Amtsgericht erhalten, daß wir im Vereinsregister eingetragen sind. Also übernahmen wir offiziell die Amtsgeschäfte des Vereins. Der Wiederaufbau des Spitzdaches - so unsere VorgängerInnen zu uns - sei von finanzieller und planerischer Seite her abgeschlossen und eigentlich drohe nichts Böses mehr. Es müssten nur noch ein paar Rechnungen bezahlt werden und das Geld dafür läge auf den Vereinskonten.

Das war im Dezember 1994. Kurz darauf bat unser Architekt Detlev Schmidt-Lamontain sichtlich verunsichert um eine Audienz. Daß auch Berni Jaspers, ebenfalls Architekt der pgs-Architekturplanung, mit angekündigt wurde, hätte uns stutzig machen müssen. Die Rohbaurechnung hatte sich "unbemerkt" von einer Bruttoangebotssumme von rund 280.000 DM auf 675.000 DM erhöht. Schuld hatte der Abriß des "provisorischen" Flachdaches, das scheinbar bei einem Luftangriff in einem dritten Weltkrieg nicht so schnell schlappmachen sollte wie sein Vorgänger. In der Folge entstanden einige handfeste Projekte, die dem Haus Geldquellen erschließen sollten.

140 Tonnen Erde

Aufgabe des Vorstandes war es, zu stornieren, was es noch zu stornieren gab, um die geplanten Ausgaben weiter zu senken. Weil viele Arbeiten in dieser Bauphase schon begonnen oder fertiggestellt waren, konnte nicht mehr allzuviel storniert werden. Angesichts dieser Situation wurden wir immer mutiger und stornierten z.B. den Bau der Regenwassernutzungsanlage, die bis dahin durch eine Firma nur zum Teil fertiggestellt war. Berni´s anfängliche Skepsis erwies sich als unbegründet: Die BewohnerInnen installieren nicht nur Teile der Anlage selbst, sondern verteilten auch 140 t Mutterboden mit Schaufeln und Schubkarren im Vorgarten.

Der definitive Wille der HausbewohnerInnen, das Schwesternhaus und die Selbstverwaltung zu erhalten, und die Ergebnisse der sehr langwierigen Verhandlungen mit dem Rohbauer, der zu einer Kürzung von 80.000 DM bereit war, retteten uns über diese Phase hinweg. Jetzt waren aber auch die letzten Reserven und ein Teil der Kleinkredite verbraucht.

Um die erhofften Fördermittel zur Schaffung studentischen Wohnraums vom Land zu erhalten, mußte Detlev einige Nachtschichten einlegen, damit die Planungen für den Wiederaufbau des Spitzdaches fristgerecht beim Land eingereicht werden konnten. An dieser Stelle bewies Berni wie immer wesentlich mehr Coolness als sein Kompagnon, indem er wenige Tage vor dem Abgabetermin in Urlaub ging. Daß es unter diesen Bedingungen zu der einen und anderen Ungereimtheit gekommen war, schien uns gerade bei dem Wissen um die Entstehung der Planungen konsequent. Zu diesen Ungereimtheiten gehören z.B die Doppeltoiletten, bei denen es am Platz für die Trennwände zwischen den Schüsseln fehlt und die manch lustiges Kollektivurinieren zur Folge hatten, sowie eine 6 qm-Küche in der Wohnung 101, was bei dem täglichen Massenauflauf in einer 6er-WG, allein beim Frühstücken inkl. Anhang, zu einem fraktionierten Vorgehen führen muß.

Mängelbeseitigung oder Geld?

Ganz abgesehen von den Aggressionen, die bei zu hoher Bestandsdichte auftreten sollen. Vielleicht haben studentische Traumata von Detlev und Berni an dieser Stelle der Planung ein wenig Unterbewußtes mitspielen lassen. Aber ich werde mich hüten, ihnen Böses nachzusagen. Noch eine Möglichkeit, Ausgaben zu reduzieren: Wir hatten nicht unbedingt immer die Mängelbeseitigung, sondern auch über Verhandlungen mit den Firmen einen Preisnachlaß zum Ziel. Also akzeptierten wir einigen Pfusch, der für das Haus und seine BewohnerInnen keinen Schaden bedeuten würde, um darüber Rechnungen kürzen zu können.

Und so verfuhren wir dann auch bei allen Abnahmen. War ein derartiger Deal nicht möglich, verlangten wir Entschädigungen durch Sachleistungen. Bei den Trockenbauern hatten wir den größten Erfolg damit. Einige Wände in der Wohnung 101 und diverse Feuerschutzwände auf den Dachböden wurden ohne Bezahlung von Material und Arbeitsstunden hochgezogen oder fertiggestellt. Wir erhielten Dichtungsmaterial, Sicherheitsglas für Türen, Wohnungstüren, Eichenhandläufe für die Treppen, diverse Gipssäcke, und das großzügige Angebot vom Rohbauer auf Unterstützung bei der Beschaffung des Materials für die Feuerwehrauffahrt.

Merkwürdige Löcher in merkwürdigen Toiletten

Ein unterhaltsames Beispiel dafür: In einer der schon erwähnten Doppeltoiletten, Spielwiese des Sanitärunternehmens König, findet sich eine Klimaanlage der ganz besonderen Art. Lange haben nicht nur wir vor einem etwa 15 cm großen Loch, an das sich inwändig ein "Ziehharmonikablechrohr" anschließt, gestanden und gestaunt. Immer wieder wurde es durch die verschiedensten Fachleute aus dem Haus begutachtet. Ja, einige fühlten sogar hinein, unter TiermedizinerInnen eine durchaus typische Handbewegung, aber kein Arm war lang genug, um an das Geheimnis dieses Loches heranzukommen. Es schien wichtig genug, daß selbst die Fliesenleger ihre Wandfliesen säuberlich anpaßten und kunstvoll drum herum klebten.

Irgendwann kam die Zeit, daß die Handwerker glaubten, ihre Arbeiten erledigt zu haben, worauf dann die Abnahme dieser Arbeiten erfolgte. Ein Legat der Firma König, Herr Architekt Detlev Schmidt-Lamontain und meine Wenigkeit begutachteten nun die kunstvollen Installationen. Neben dem schon oben erwähnten Loch in der Toilettenwand, das manchmal saugen und manchmal pusten konnte, fanden wir nicht der DIN entsprechend angeschlossene Wasserhähne in den Duschen und einige weitere Kleinigkeiten. Anstatt die Firma zur Mängelbeseitigung zu verpflichten, verlangten und erreichten wir Preisminderung, nicht zuletzt, weil auch der Oberfachinstallateur keine Erklärung für dieses bestens zum Üben des Brachioendoskopierens geeigneten Loches hatte.

Es wird vermutet, daß dieses Loch im Spitzdachklo eine direkte Verbindung zu einer Toilette des dritten Flures hat. So können nicht nur Doppelsitzungen, sondern auch Dreier- und Viererkonferenzen stattfinden. Heute befindet sich ein formschönes Ventil auf dem Loch. Wer Interesse hat, kann es ja mal aufdrehen, dran schnuppern und horchen.

Noch eine kleine König-Geschichte als Beweis für die Phantasie dieser Firma? Einige SpitzdächlerInnen leiden noch heute unter winterlicher Eiseskälte, die vor dem Spitzdach nicht Halt machen will und selbst mit der phantastisch geplanten Buermann-Heizungsinstallation nicht aufzuhalten ist. Also fanden die Königsarbeiter eine effektive Lösung: Der Toilettenspülkasten in der Wohnung 102 wurde mit etwa 60° C warmen Wasser gefüllt. Das Klo war deshalb zeitweise der wärmste Raum im ganzen Spitzdach. Wahrscheinlich hatten die Königs Mitleid mit den frierenden StudentInnen, als sie die Ergebnisse der Heizungsbauer sahen.

Gewaltätige Verhandlungspartner

Und schon wieder eine unerwartet hohe Rechnung: Trotz unserer hochfrequenten Bitte an die Architekten, uns alle offenen Rechnungen ohne zögerliche Scheu zu kredenzen, war plötzlich aus einem Voranschlag der Natursteinfirma von 20.000 DM das Fünffache geworden - auch hier zur Überraschung von Berni. Daß wir darüber erbost waren, ist wohl nachvollziehbar - ich hoffe, auch für Berni. Egal, langwierige Verhandlungen führten zu einer akzeptablen Rechnungskürzung und der Kelch ging an uns vorüber. Ich hoffe, das gilt auch für Stefan, dem einer der Verhandlungspartner von Naturstein-Krause nach Vertragsabschluß Revanche androhte.

Dazu sollte man diesen Handwerker erlebt haben. Bei einer der vielen Ortsbegehungen, an der auch der noch etwas unerfahrene Rechtsanwalt Schmidt teilnahm, hatte Herr B. (oben erwähnter Natursteinfachmann) die Hand in Gips. Also erkundigte sich Herr Schmidt aus höflicher Anteilnahme über die auslösende Ursache. Wir alle dachten, es sei ein Bauunfall gewesen. Weit gefehlt! Denn die Antwort lautete: "Der andere Mann liegt jetzt im Krankenhaus!" Und uns "beeindruckend" wies er auf seine Kampfsportausbildung hin. Wie auch immer bewertet, der Mann im Krankenhaus war sein Sohn. Schon vorher sah man bei Herrn Schmidt den Gesichtsausdruck der Anteilnahme entgleisen. Kurz und gut: einfach sympathische Verhandlungspartner, mit denen wir uns in Konversation übten.

Energieberatung für Fortgeschrittene

Zum Schluß soll noch einmal die Rede auf die Energieberater kommen: Unter all den Baufachleuten, die wir so "durchgebracht" haben, stellt diese Berufssparte die am häufigsten gewechselte dar. Ihr erinnert Euch an die Energieberaterfirma Adam & Kübel und die gerichtliche Auseinandersetzung. In dieser Phase übernahm Berni Jaspers, eigentlich ja Architekt, nach der Kündigung des Energieberatervertrages die weitere Bauaufsicht für die Installation der Heizungsanlage. Während des Wiederaufbaus des Spitzdaches wurde durch andere Energieberater von der Firma Arenha, im besonderen Wolfgang Voigts, geplant und von der Firma Buermann gebaut. Im Keller war die beta GmbH für das Blockheizkraftwerk zuständig und die Energiewerkstatt baute es ein. Die beiden letztgenannten Firmen sind uns bis heute erhalten geblieben.

Mit Wolfgang Voigts nahm es ein überraschendes Energieberaterschicksal. Wir erfuhren, daß aus dem Physiker ein Schamane wurde, der an weltlichen Heizungsproblemen kein Interesse mehr habe. Die auslösende Ursache liegt hoffentlich nicht im Schwesternhaus. Sein Nachfolger, Alfons Wagner-Kaul (Arenha), übernahm seinen Job, aber leider löste sich Arenha auf und so fällt es jetzt schwer, das Projekt "Heizung im Schwesternhaus" zu einem schnellen Ende zu führen. Zu allem Überfluß läuft zur Zeit noch ein gerichtliches Feststellungsverfahren gegen die Firma Ribbe, weil es während der Heizperioden regelmäßig zu Überflutungen in den Nicht-Spitzdachwohnungen kommt. Die Heizungsanschlüsse sind äußerst fragil. Aber das belebt die ruhigen Wintermonate.

Dirk Janßen

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letzte Aktualisierung am: 18.05.2017