1993 - 1994: Das Spitzdach wird wieder aufgebaut
Frühstück zwischen riesigen Schuttbergen
Nachdem die Übernahme des Hauses durch den Verein in Aussicht stand, wurde auf der Mitgliederversammlung im Herbst 1990 erstmals konkret über den Wiederaufbau des Spitzdaches diskutiert und dabei die Aufstellung eines Finanzierungsplanes beschlossen. Entscheidend wurde die Möglichkeit, für die Schaffung studentischen Wohnraumes öffentliche Gelder aus einem Bund-Länder-Förderprogramm zu erhalten. Im Herbst 1991 wurde im zuständigen Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) eine Zuteilung solcher Mittel an den Schwesternhausverein angepeilt und vom Verein ein erster vorläufiger Antrag über die Förderung von 29 Wohnplätzen in Höhe von 1,3 Millionen DM gestellt. Problem war nun die Finanzierung der fehlenden 600.000 DM. Die Deckung dieser Finanzierungslücke durch Spenden von Privatfirmen wurde heftig diskutiert. „Schmutziges Geld“, so einige Stimmen im Haus, von Pharmariesen und anderen Großkonzernen war nicht unbedingt erwünscht, so daß das ganze Projekt auf einer HVV im Herbst 1991 quasi auf Eis gelegt wurde.
Die Vereinsmitgliederversammlung im Februar 1992 sprach sich dann aber grundsätzlich für das Spitzdach aus. Trotz noch unklarer Gesamtfinanzierung sollte dieses Wagnis eingegangen werden. Die fehlenden 600.000 DM sollten nun über Stiftungen hereinkommen. Anfang März kam dann auch die vorläufige Zusage für die „öffentlichen“ 1,3 Millionen. Leider wurden in den folgenden Monaten sämtliche Anträge an diverse Stiftungen abgelehnt. Das ganze Projekt geriet nun in Zugzwang, da die Gesamtfinanzierung bis zum 1. Juni 1992 stehen mußte. Nach einer vom MWK nur widerstrebend erteilten Fristverlängerung bis zum 1. August begann die fieberhafte Arbeit an einem hieb- und stichfesten Finanzierungsplan.
Mehr Wohnungen als Lösung
Die Lösung brachte schließlich eine Kreditzusage der Ökobank Frankfurt über 450.000 DM und die Idee, die Zahl der Wohnplätze von 29 auf 36 aufzustocken (unter Nutzung einer 2. Etage im Spitzdach). Dadurch konnte der Anteil an öffentlichen Fördermitteln auf 1,6 Millionen DM erhöht werden. Der endgültige Finanzierungsplan über 2,07 Millionen DM wurde buchstäblich in letzter Minute nur drei Tage vor Ablauf der schon verlängerten Frist eingereicht. Nachdem im Herbst 1992 auch für die erhöhte öffentliche Förderung das ok erteilt wurde, konnte mit dem Bau begonnen werden.
Hätte zu diesem Zeitpunkt jemand geahnt, welche beinahe existenzbedrohenden Probleme mit dem Wiederaufbau des Spitzdaches auf den Schwesternhausverein zukommen würden - der Stolz über die geglückte Finanzierung wäre nicht nur leisen Zweifeln über die Machbarkeit gewichen. Denn schließlich hatten die Schwesternhäusler sich nicht ganz leichten Herzens überhaupt für das Spitzdach entschieden. Schon der Baubeginn stand unter keinem guten Stern: Wir mußten monatelang auf die Baugenehmigung warten. Statt wie geplant Anfang August ’93 begannen die Maurer dann erst Ende Oktober ihre Kellen zu schwingen. Und der Rohbau wurde auch nicht innerhalb von 2 Monaten fertig gestellt, sondern das Richtfest und damit die Rohbaufertigstellung fand erst im Mai 1994 statt.
Dennoch konnten die Wohnungen mit nur zweimonatiger Verspätung im Juli bezogen werden. Wohnungen konnte man das allerdings kaum nennen. Aber wer hätte nicht schon immer gerne mal zwischen Schuttbergen mit Bauarbeitern sein Frühstück verspeist?
Wusstet ihr schon, dass...
- der Dachstuhl des Spitzdaches über eine spezielle Stahlkonstruktion vollständig auf den Außenwänden lastet und fast alle Innenwände nur aus Rigipsplatten bestehen, weil das alte Flachdach nicht tragfähig genug war?
- man in der Rohbauphase vom Dachfirst aus die schöne Aussicht bis zum Deister genießen konnte?
- der 2. Stock des Südflügels eine doppelte Decke besitzt, weil das alte Flachdach hier etwa 50 cm niedriger gewesen ist als über dem Rest des Hauses und deshalb eine zweite höhere Decke aufgesetzt werden mußte?
- die gerade im Rahmen der Renovierung reparierten Dachrinnen am Flachdach schon ein Jahr später wieder abgerissen wurden?
- die Treppengeländer im Mittelaufgang zum Spitzdach 40 Jahre in der Kapelle vor sich hin gammelten, bevor sie wieder an Ort und Stelle zu neuen Ehren kamen?
- die Zimmertüren im Spitzdach aus Limba-Holz sind, obwohl die HVV ausdrücklich nur die Verwendung von einheimischen Hölzern beschlossen hatte, weil Limba unter Architekten nicht als Tropenholz gilt?
- für die Dachflächendämmung trotz nur sehr geringer finanzieller Einsparung statt der ökologischen Variante „Isofloc“ Glaswolle verwendet wurde, aus Angst vor dem Finanzdesaster?
- die Dachflächenfenster vom Denkmalpfleger nur widerstrebend und auch nur an von der Schwesternhausstraße aus nicht sichtbaren Stellen akzeptiert wurden?
- sich die Schwesternhäusler früher auf dem Fachdach zum Silvesterfeuerwerk und zum Sonnenbaden trafen?
Michael Schimanski, Bernd Schwedhelm im Jahre 1997