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1897: Umzug auf die Bult
"O, selig Haus, wo man uns aufgenommen"
Am 10. November 1897 wurde der Neubau des "Damenstifts Schwesternhaus" in der Schwesternhausstraße feierlich eingeweiht. Damit zog die Schwesternhausstiftung von dem kaum fünfzig Jahre alten Gebäude in der Meterstraße in ein neues, vor den Toren der Stadt erbautes Schwesternhaus um.
Der "Hannoversche Anzeiger" berichtete über die Einweihungsfeier wie folgt:
"Das neue Schwesternhaus an der Bult wurde heute Mittag feierlich eingeweiht. In Gegenwart des Vorstandes und Verwaltungsrathes überreichte Architekt Lorenz, der in Gemeinschaft mit Professor Hehl den Bau ausgeführt hat, den Schlüssel an den Vorsitzenden des Verwaltungsraths Pastor Mohr. Die eigentliche Feier fand im prächtigen Festsaale des Hauses statt, wo sich inzwischen die Bewohnerinnen sowie Vertreter der geistlichen und städtischen Behörden versammelt hatten, und zwar: Präsident des Landeskonsistoriums Voigts, Konsistorialrath Schuster, Senior Dr. Hilmer, Pastor Philippi, Stadtdirektor Tramm, Bürger-Worthalter Bojunga, Bürgervorsteher W. Jacob und Basse, die Mitglieder des Verwaltungsrathes und viele Freunde der Anstalt.
Die Feier begann mit dem Gesange des Frauenchors der Neustädter Kirche "O, selig Haus, wo man uns aufgenommen. Dann bestieg Pastor Mohr die Kanzel und hielt eine längere außerordentlich wirkungsvolle Weihrede, beginnend mit der Geschichte des alten und dem Bau des neuen Schwesternhauses, herzlich gedenkend des Stifters des Schwesternhauses, Senior Dr. Bödeker, sowie der verstorbenen Herren Senator Dr. Schläger und Kaufmann Oltrogge, die das Amt des Vorsitzenden des Verwaltungsrathes und des Rendanten lange Jahre in großem Segen bekleidet haben. Der Redner gedachte ferner mit herzlichem Danke der Tätigkeit der bauleitenden Architekten, insbesondere demjenigen des Architekten Lorenz, ferner des jetzigen Rendanten, Herrn Meinhardt und gab der Hoffnung Ausdruck, daß Gottes Segen auch ferner auf dem Hause ruhen werde. Es folgten gehaltvolle Ansprachen der Herren Stadtdirektor Tramm, Konsistorialpräsident Voigts, Konsistorialrath Schuster, Senior Dr. Hilmer, Pastor Philippi. Nach abermahligen Vortrage des Frauenchors der Neustädter Kirche schloß die Feier mit dem allgemeinen Gesange "Lobe den Herrn." Es folgte eine Besichtigung des Hauses, alsdann folgten die Anwesenden der freundlichen Einladung zu einem Frühstück."
Nach der offiziellen Einweihung am 10. November fand am nächsten Tag als weitere Feierlichkeit für die Stiftsdamen noch ein Kaffeetrinken in der Gastwirtschaft am Pferdeturm statt. Warum sich der Verwaltungsrat der Schwesternhausstiftung im Oktober 1894 für einen Neubau des Stiftsgebäudes entschied, läßt sich nur vermuten. Obwohl das alte Schwesternhaus in der Meterstraße noch keine 50 Jahre alt war, war es wahrscheinlich baufällig, denn nach dem Umzug in das neue Gebäude wurde das alte Schwesternhaus an den Provinzialverband Hannover verkauft und bald darauf abgerissen. Vermutlich war aber auch die Nachfrage nach den Stiftswohnungen groß und die Schwesternhausstiftung hatte inzwischen ihre Schulden vom ersten Bau abgetragen, so daß man sich auch deswegen zu einem Neubau entschied. Der 1896 für 100.000 Reichsmark erworbene Bauplatz auf der "Großen Bult" befand sich in einem Neubaugebiet. 1893-1895 waren hier in direkter Nachbarschaft das Rats- und von-Sodenkloster und das Heiligen-Geist-Stift neu erbaut worden. Seit 1895 wurde auf dem Gelände zwischen den beiden alten Dammstraßen nach Misburg und zum Bischofshol auch eine neue Tierärztliche Hochschule gebaut.
Neue Nachbarschaft
Die Wahl des Bauplatzes in der Schwesternhausstraße stieß sicherlich nicht nur auf Zustimmung, denn das Grundstück war relativ weit von der eigentlichen Stadt entfernt, und es war mit Geruchs- und Lärmbelästigung durch den Schlachthof und durch die Tierärztliche Hochschule zu rechnen. Der Entwurf für den Bau des Hauses stammte von dem hannoverschen Architekten Emil Lorenz und dem Berliner Architekten Christoph Hehl, Professor an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg. Hehl hatte bis 1894 in Hannover gearbeitet und war Architekt zahlreicher öffentlicher Bauten (z.B. Rathaus Linden, Clementinen-Krankenhaus und mehrere Kirchen). Während der Entwurf von Lorenz und Hehl gemeinsam stammte, lag die Bauausführung in der Hauptsache bei Lorenz.
Die Ausstattung
Der Neubau enthielt 69 Einzelwohungen und 6 Doppelwohnungen, verteilt auf 4 Stockwerke. Der Kaufpreis für eine einfache Wohnung lag je nach Stockwerk zwischen 1500 und 2000 Mark. Sofern keine Käuferinnen zu finden waren, konnten die Wohnungen auch für 150-200 Mark gemietet werden. Die Einzelwohnungen bestanden aus zwei Zimmern und einer Küche. (Die Bewohnerinnen der 6 Doppelwohnungen teilten sich jeweils zu zweit eine Küche.) Zu jeder Wohnung gehörte außerdem ein Kellerraum und ein "Holzverschlag" auf dem Boden. Gemeinschaftlich genutzt wurden der "Saal" (die heutige Kapelle), die Waschküche, die "Bibliothek" (die heutige Teestube) und die "Promenade im Garten". Für die Bibliothek stifteten der "Hofbuchhändler H. W. Hahn und seine Collegen in Stadt und Land" zwei große Bücherschränke. In der Wohnung 1A (die heutige Kinderkoppel) - mit direktem Zugang zum darunterliegenden Keller - befand sich die Wohnung des "Hofmeisters". Die heutigen Notzimmer dienten teilweise als Wohnraum für die als Dienstpersonal angestellten 6 "Wärterinnen".
Die Nachfrage nach einer Wohnung im Schwesternhaus war zunächst offenbar geringer als erwartet. In dem seit Anfang September 1897 bezugsfertigen Gebäude waren zwei Monate später erst gut die Hälfte der Wohnplätze belegt. Da es nicht genügend geeignete Bewerberinnen aus der Stadt Hannover gab, entschied sich der Verwaltungsrat zur Aufnahme auch von auswärtigen Damen. Über die Zusammensetzung der Bewohnerschaft ist nichts näheres bekannt. Bewerbungsberechtigt waren "hülfsbedürftige Damen aus dem gebildeten Stande ... gleichviel , ob sie unverheiratet oder Wittwen sind". Aufnahmebedingungen waren: evangelisches Bekenntnis, unbescholtener Ruf und Mindestalter 25 Jahre. Obwohl sowohl ledige als auch verwitwete Damen aufgenommen werden konnten, waren Anfang der 1890er Jahre über 95% der Bewohnerinnen unverheiratet.
Im Vergleich zu den im gleichen Zeitraum neu errichteten Gebäuden des Rats- und von-Soden-Klosters und des Heiligen-Geist-Stiftes war das Schwesternhaus ein Luxusquartier. Die Stiftsdamen im Schwesternhaus verfügten über eine abgeschlossene Wohnung mit 2 Zimmern und Küche. Im Rats- und von-Soden-Kloster befanden sich dagegen nur zellenartige Wohnkammern von maximal 8 qm Größe, und die Bewohner des Heiligen-Geist-Stiftes waren in großen Sälen untergebracht, die mit 2m hohen Wänden in 6 qm große Schlafkam-mern unterteilt waren. Eine Eingabe der Bewohner des Heiligen-Geist-Stiftes, statt solcher Schlafkammern in Sälen geschlossene Wohnungen zu bauen, wurde abgelehnt mit dem Hinweis, man wolle kein "Damenstift" bauen, sondern nur ein neues "Hospital". Zwischen Rats- und von-Soden-Kloster und dem Heiligen-Geist-Stift (als Einrichtungen der städtischen Armenpflege) und dem Damenstift Schwesternhaus bestand also ein erhebliches so-ziales Gefälle.
Michael Schimanski im Jahre 1997