1995 - 1997: Das Schwesternhaus in Geldschwierigkeiten
Die Kleinkredit-Aktion
Die Vorgeschichte
Ende März 93 gibt der Vereinsvorstand bekannt: Die Spitzdachfinanzierung steht. Ein Förderkredit über 450 000 DM zu günstigen Zinsen ist von der Ökobank Frankfurt bewilligt, zu finanzieren durch die Spitzdachmieten und mit 1,62 Mio. DM gefördert durch das Bund-Land-Förderprogramm studentischen Wohnungsbaus. Damit haben wir genug Geld...
Das Dach wurde also gebaut, Baubeginn war der 29. Oktober 1993. Im Sommer 94 zogen die ersten Bewohner ein. Ein erstes ,,kleineres” Finanzierungsdefizit wurde durch den sogenannten Solizuschlag von 90 DM pro Mietvertrag gedeckt. Trotz heftiger und kontroverser Diskussion war dieser auf der HVV vom 15. Juni 1994 beschlossen worden.
Die Krise und ihre Folgen
Auf einer Vorstandssitzung im Dezember 94 kam dann das erste Gerücht auf, das Spitzdach könne viel teurer geworden sein als erwartet. Als mehr und mehr Rechnungen eintrudelten, wurde das Ausmaß der Katastrophe deutlich. Zwei Monate später erreichte der erste Hilferuf des Vorstands die Mitglieder, in dem um finanzielle Unterstützung gebeten wird. In diesem Hausnotruf erfahren die Hausbewohner konkret von der Finanzkrise, über die vorher nur gemunkelt wurde. Das finanzielle Aus drohte dem Haus, dem Verein und damit uns. Das Projekt Schwesternhaus stand vor dem Bankrott. Als Reaktion kamen einige Spenden, aber auch einige Vereinsaustritte, sowie das Angebot von insgesamt 17 ooo DM Darlehen .... und der Brief von Thomas Peters (Mai 95 in der Petzenden Nonne veröffentlicht), der jede Menge Fragen stellte und zu folgendem, wenn auch fiktivem, Gespräch geführt haben könnte.
Gespräch über Geld und Sinn
Peter, ein nicht mehr im Haus wohnendes Vereinsmitglied, nutzt seinen freien Nachmittag zu einem Spaziergang zum Schwesternhaus. Er trifft mich vor dem Haus an. Wir schreiben den Sommer 1995, es ist warm, man sitzt vor dem Haus und genießt die Sonne.
,,Hallo Telse, ich bekam im Februar einen Brief vom Schwesternhausverein, der bei mir einige Verwirrung ausgelöst hat. Jemand meinte, du könntest vielleicht zur Klärung beitragen?”
,,Moin Peter. Ich wollte eh’ gerade einen Kaffee kochen und habe etwas Zeit. Was gibt's?”
,,Ich bekam dieses von mir unbekannten Autoren mit ,schwesternhäuslichen Grüßen‘ geschlossene Schreiben. Nach einer einleitenden Passage über den erfreulichen Fortschritt des Spitzdaches wurde da ein paar Zeilen weiter von einer Katastrophe berichtet. Ein Finanzloch von 300.000 DM in den Kassen. Das ist wirklich der Hammer. Freunde und Ehemalige wurden freundlich um eine Spende oder um die Gewährung eines möglichst zinslosen Kleinkredites gebeten. Bevor ich aber an meinen Sparstrumpf gehe, um unter Freunden etwas auszuhelfen, wüßte ich doch gerne, wie sich eine ,unvorhergesehene und unverschuldete Baukostenerhöhung‘ von schlappen 300 Riesen so plötzlich ergeben konnte.”
Ich schüttete uns also zwei Becher Kaffee ein. ,,Auf jeden Fall war Pech im Spiel. Vor Baubeginn wurden im Zuge der Planung Bohrproben im Flachdach vorgenommen, um dessen Beschaffenheit zu erfassen. Danach wurden die Kosten für den Unterbau (Flachdach weg, Stahlkonstruktion drauf) berechnet. Das Pech dabei: alle Probebohrungen brachten Sand zu Tage. Während des Baus zeigte sich aber, daß man wohl die einzigen sandigen Stellen erwischt hatte. Der Rest des Daches erwies sich als stahlharter Beton, bis zu einem Meter dick. Die Entfernung kostete drei Wochen Zeit, in denen wir durch die Preßlufthämmer dicke Köpfe bekamen. Die Firma informierte die Architekten. Darüber, ob diese auch den Vorstand informierten, herrschen verschiedene Ansichten. Die Schuldfrage für das blinde Hineintappen in die Katastrophe ist noch nicht geklärt. Fakt bleibt, daß drei Wochen Preßlufthämmer mehr kosten als nur dicke Köpfe. Ähnliche kleinere oder größerer Überraschungen warteten im gesamten Spitzdach. Milch?”
Peter schüttelte den Kopf und sagte nachdenklich: ,,Da hat es uns wohl böse eingeholt, daß der Weg der möglichst weitgehenden Selbsthilfe verlassen wurde. Ist nicht durch professionelle Baumaßnahmen auch ein professionelles Management erforderlich?”
,,Wir haben uns auch gefragt, ob wir nicht den Beton mit Spitzhacke und Schaufel besser selbst weggeschafft hätten. Das hätte sicherlich viel mehr Zeit, aber dafür viel weniger Geld gekostet.” sagte ich nach kurzem Nachdenken ,,Der Vorstand erfuhr erst eineinhalb Jahre später durch die Abschlußrechnung der Rohbaufirma, daß die Preßlufthämmer die Krise mitverantworten. Daß hier ehrenamtliche Bau-Laien ein Dach bauen ließen, trug sicher auch mit zur Finanzkrise bei. Sämtliche Posten hatten sich verteuert und ich denke, wir haben daraus nicht die richtigen Schlüsse gezogen. Zu Baubeginn hätte ein größerer Sicherheitsrahmen abgesteckt werden müssen. Und außerdem werde ich das Gefühl nicht los, daß einige Firmen auf unsere Naivität spekuliert haben.”
Während er sich reichlich Zucker in den Kaffee schüttete, stellte Peter die nächste Frage: ,,Ich wüßte nur gerne, was die im Haus-wohnenden Schwesternhäusler in dieser dunklen Stunde selber tun. Weht angesichts der Gefahr der alte Geist der Gemeinschaft und Selbstverantwortung besonders stark durchs Haus und führt zu mannigfaltigen Aktivitäten?”
,,Ideen waren gefragt. Über allem schwebte die Übernahme durch das Studentenwerk und damit das Ende der Selbstverwaltung. Nach viel Ideenjonglage und gut besuchten SKT's kamen verschiedene Strategien heraus. Die AG Kleinkram überlegte, wie man Geld in Kleinstmengen beschaffen oder einsparen könnte. Eine Benefizparty wurde geplant und durchgeführt. Ihr Beitrag ist sagenumwoben. Auch das diesjährige Straßenfest wurde unter dem Vorzeichen der Geldnot größer aufgezogen und brachte weiteres Spendengeld. Eine zweite Benefizparty fand Ende Juli statt und trotz relativ geringer Besucherzahlen kam ein netter Betrag zusammen. Bei diesen Aktionen beteiligten sich mit Sicherheit mehr als die Hälfte aller Bewohner!”
,,Aber das war wohl nur ein Teil der Aktionen?” warf Peter ein. ,,Als gemeinnütziger Verein muß es doch wohl möglich sein, auch an größere Beträge heranzukommen?”
,,Natürlich haben wir auch versucht, Geld aus der Öffentlichkeit zu bekommen. Matti Gerasch und andere riefen eine Spenden-SKT ins Leben und schrieben unzählige Bittbriefe. Der Erfolg war nicht zu verachten! Im jahr 1995 kamen alleine 45 ooo DM aus Spenden in die Vereinskassen. Eine freiwillige Einlage, der Verkauf von Anteilen, ein Sich-Einkaufen à la Bödecker - das waren alles Ideen, die der im Frühjahr schon angedachten Kleinkreditaktion Leben einhauchten. Ich habe schon das Gefühl, daß dies alle im Haus einander ein Stück näher gebracht hat. Wir hatten wieder ein gemeinsames Ziel, für das es sich zu kämpfen Iohnte. Ein Vater brachte es auf den Punkt: Ihr seid in der Zwangslage und ihr seid 100 Leute, also muß jeder 2000 DM aufbringen. Er spendete diese Summe und einige gaben Kleinkredite. Mit dieser ,Gründerspende‘ haben wir übrigens den Druck des Faltblattes finanziert, das alle Vereinsmitglieder bekommen haben. Warte einen Moment, ich hole dir eins aus dem Büro.”
Ich stand auf und verschwand im Haus. Als ich zurückkam und ihm eines der blauen Blätter reiche, sagte er: ,,Mir drängt sich eine weitere Frage auf. Werden die nicht selbstverschuldeten Verteuerungen einfach so in Kauf genommen?”
,,Während wir hier sitzen und Kaffee trinken, bemüht sich der Vorstand gemeinsam mit dem Anwalt darum, Rechnungen zu kürzen, Dabei werden wir auch von Stephan Schumerski unterstützt, der über die Kinderkoppel und Freunde von Freunden Kontakt zum Haus hat und wohl mehr vom Baurecht versteht als jeder andere hier.”
Peter studierte das Faltblatt, in dem für die Kleinkredites gebeten wurde. ,,Die Mieterhöhung, die im Brief vom Februar schon erwähnt wurde, soll mir eine Sicherheit suggerieren?” fragte er, während er sich mit dem Faltblatt Luft zufächelte.
,,Diese Mieterhöhung um 25 Mark pro Mietvertrag wurde zum 1. März 95 beschlossen und soll tatsächlich eine Sicherheit für deinen Kleinkredit sein, aber auch für einen möglichen Bankkredit.”
,,Warum kein Bankkredit, wenn die Möglichkeit dazu besteht?” wunderte sich Peter.
Ich versuchte ihm zu erklären: ,,Ein Aspekt der Kleinkredite, der uns reizte, war, daß sie uns Unabhängigkeit von den Banken gewährleisten. Das Haus ist schon mit dem Ökobank-Kredit für den Spitzdachbau belastet, der Erbpachtzins ist ebenfalls als Schuld im Grundbuch eingetragen. Unsere Kleinkreditgeber haben keine Möglichkeit, über die Entscheidungen der Selbstverwaltung Einfluß zu nehmen. Wir fanden die Idee reizvoll, daß viele Freunde uns geringe Summen zu geringen Zinsen leihen. Wir müssen im Hinterkopf behalten, daß die Alternative ein Kredit mit einer Laufzeit von 25 jahren gewesen wäre, der zudem nur eine beschränkte Tilgung von 2% pro jahr er- laubt hätte. Ganz anders bei den Kleinkrediten: wir können in dem Rahmen tilgen, in dem es uns möglich ist. Das alles bedeutet für uns mehr Flexibilität.”
,,Mal sehen, ich denke, ich kann mein Weihnachtsgeld in einem Kleinkredit anlegen. Jetzt muß ich leider gehen, ich kann dich ja sicher noch anrufen. Vielen Dankfür den Kaffee!”
2 Jahre nach der Katastrophe
An einem kühlen Morgen im Februar 1997 klingelt bei mir das Telefon.
,,Hallo, hier ist der Peter, ich wollte mich noch mal melden und hören, wie es um die Finanzen und die Kleinkredite jetzt steht!“
,,Oh, es läuft nicht schlecht, dank Stephans Hilfe und Kompetenz bei der Klärung und den Verhandlungen der Firmen, konnten die Rechnungen noch mal um 80.000 DM (Zieseniss Rohbau) und noch mal um 8.000 gekürzt werden. Zum Dank wurden ihm von der HVV Stunden von unserer Arbeitskraft zur Verfügung gestellt. Gegen Arbeitsstunden halfen ihm Schwesterhäusler auf seinem Bau und verlebten so einen netten Samstag auf dem Lande. Am Ende wurde von der HVV die Kleinkreditgruppe (Sven Lohmeyer, Justus Lentsch und ich) offiziell gegründet. Die Gelder flossen und wir erreichten das gesteckte Ziel von 200.000 DM Ende 1996!”
Peter staunte und fragte: ,,Und wie war die Resonanz auf die Aktion im Haus?”
,,Die meisten Kredite kommen von Freunden des Hauses, ehemaligen Bewohnern, Freunden von Bewohnern, Familienangehörigen und die übrigen letztlich aus dem Haus. Auf der HVV vom 26. juni 95 waren im Meinungsbild über 50% der Anwesenden bereit, ein Darlehen zu geben. Es waren zu dem Zeitpunkt 45 Leute auf der HVV. Am 16. Oktober belief sich die Zahl der Verträge auf 54, davon waren 27 aus dem Haus gekommen. Heute sieht es etwas anders aus, die Finanzkrise scheint den Leuten im Haus nicht genug im Bewußtsein zu sein. Von 74 Verträgen, die wir heute haben, sind nur vier von Bewohnern des unteren Hauses und 10 von Bewohnern des Spitzdaches. Manch einer hat uns dagegen ehrlich beeindruckt. Da nahm sogar jemand einen Kredit bei der Bank auf, um uns einen Kredit geben zu können.”
Ich hörte wie Peter durch die Zähne pfiff. ,,Ist die Kleinkreditaktion denn auch nach der ganz großen Krise gesichert?”
Ich brauchte nicht lange zu überlegen: ,,Die Kleinkredite flossen zur Hälfte in die Zahlung der Rechnungen, der Rest wurde von uns kurzfristig angelegt. Wir könnten sogar die Darlehen jetzt schon fast komplett zurückzahlen, aber das hinterließe das Haus ohne große Sicherheiten”.
,,Heißt das, wir können aufatmen?”
,,Vorausgesetzt, daß wir die Kleinkredite durch neue ersetzen, die wiederum mindestens zwei jahre bei uns liegen - dann ja. Aber jubeln können wir nicht. Nach drei jahren Zittern können wir sagen: Wir haben das Spitzdach gewagt und sind mit einem blauen Auge davongekom- men. Im Moment sind unsere Rücklagen für mein Sicherheitsbedürfnis noch zu klein. Und deshalb brauchen wir weiterhin Kleinkredite. Weil immer Laien das Geschick des Hauses be- stimmen werden, passieren natürlich auch Patzer. Mir hat es jedenfalls die Aktion trotz des Arbeitsaufwandes immer Spaß gemacht. Und es ist gut zu wissen, daß das Engagement bei einigen nicht vor der Geldbörse Halt macht!” ,,OK, Telse, du hast mich überzeugt. Ich werde den Kleinkredit über 500 DM, den ich euch ‘95 gegeben habe, weiterlaufen lassen. Ich komme mal bei Gelegenheit vorbei und wir können das dann ja klarmachen. Bis dann!”
Telse Bruns im Jahre 1997