Hannovers selbstverwaltetes Studierendenwohnheim


1989 - 1990: Die Wiederauferstehung der Kapelle

Dornröschen im Taubendreck

Wer heute die Schwesternhauskapelle betritt, wird kaum auf den Gedanken kommen, daß es dort noch vor kaum 10 Jahren ein ganz kleines bißchen anders aussah. Die Verfasser wortreicher Schreiben an ministerielle Geldgeber sprachen angesichts des traurigen Zustandes vor 1989 von einem Trümmerhaufen im Dornröschenschlaf. Doch diese zartbesaitete grimmsche Märchenfigur hätte im knöcheltiefen Taubenkot wohl kaum ein Auge zugetan, und der rettende Prinz hätte umhüllt von ewiger Dunkelheit und an warmen Tagen besonders lieblichem Duft leise vor sich hin modernder Taubenkadaver wohl kaum den Weg zu seiner Angebeteten gefunden.

Doch die schwesternhäuslichen Prinzen und Prinzessinnen sind da aus einem anderem Holz geschnitzt. Die Lippen befeuchtet, die Feder gespitzt auf dem dornenreichen Weg durch die Bürokratie. Es war nämlich so: Das Schwesternhaus gehörte in diesen fernen Jahren (1989) dem Land und wurde von der TiHo verwaltet. Und darin wollten die Studenten nun einen Raum instandsetzten? Eine Kapelle? Mit Eigenleistung und Eigenmitteln? Na, wo kommen wir denn da hin! Doch das zuständige Ministerium für Wissenschaft und Kultur (kurz MWK) zierte sich nicht allzu lange, da ja die Übernahme des gesamten Schwesternhauses durch den Schwesternhausverein mittels Erbbaurecht nur noch eine Frage der Zeit war. Kommt Geld, kommt Erbbau.

Kampf gegen die Bürokratie

Aber die hochschulische Bürokratie von gegenüber brauchte 5 Monate, bis der Kanzler der TiHo am 2. Juni 1989 seinen "Linnemann" unter die "Vereinbarung" zwischen der TiHo und dem Schwesternhaus setzen konnte. War den dortigen die hiesige Autonomie denn immer noch nicht geheuer? Mit dieser Vereinbarung nun wurden dem Schwesternhaus die Besitzrechte an der Kapelle und an Teestube und Wohnung 1a gleich mit dazu übertragen - unentgeltlich, unbefristet und kündbar. Kündbar etwa dann, falls die Übernahme des Hauses durch den Verein doch noch scheitern sollte.

Nun ging alles Schlag auf Schlag. Für 105.000 DM Eigenmittel aus Rücklagen des Hauses (angehäuft durch monatlich um 60 DM zusätzlich erhöhte Mieten) plus 25.000 DM Zuschuß von der Klosterkammer wurde innerhalb von 4 Monaten die Bude wieder auf Vordermann gebracht. Eine Knochenarbeit. Wegen der drohenden Seuchengefahr wurde die Kapelle zunächst von einer Spezialfirma entrümpelt. (Die gleiche Firma lehnte nach dieser Erfahrung Jahre später die Entseuchung des Kapellenturmes ab.) Und nun: Fenster auf und Licht hinein. In den Fensterrahmen fanden sich noch Reste der alten Buntglasfenster und in der Absis kam die alte, ziemlich scheußliche Wandbemalung wieder zum Vorschein. Die Schwesternhäusler beteiligten sich mit etwa 2000 Arbeitsstunden an der Wiederauferstehung ihrer Kapelle.

Buntglas oder nicht, Holz oder Stahl?

Fresken der Kapelle, heute unter einer schützenden Farbschicht auf Renovierung wartend

Aber nicht nur physisch beschäftigte sie die Bewohner: Auf zahllosen SKTs mit wechselnder Besetzung und ebenso zahllosen Abstimmungen wurde über die Innengestaltung debattiert: welches Gelb, Parkett oder Fliesen, Buntglas ja oder nein, Halogen oder nicht Halogen. Das Entscheidungsverfahren war nicht immer unumstritten. Mit der orginalgetreuen Wiederherstellung nahm man es - zum Glück - nicht ganz so genau. Tür, Decke und Fenster sind zwar nach historischem Vorbild gestaltet - aber die Wandbemalung der Absis verschwand nach fachgerechter Konservierung (denkmalschützerische Auflage) unter dem neuen Wandanstrich. Balkenkonsolen und Deckenbemalung wurden lieber gleich ganz unter den Tisch fallen gelassen. Das größte Problem stellten die riesigen Fenster dar (Stückpreis 7500 DM). Eines ging beim Einbau zu Bruch.

Und dennoch: Am 21. Oktober 1989 konnte wie geplant die Einweihung stattfinden. Ihre Komplettierung fand die Kapelle erst im nächsten Jahr. Im Herbst 1990 wurde die Empore eingebaut, wobei sich die Futuristenfraktion mit ihrer Stahlkonstruktion gegen die Traditionalistengruppe mit Holzvariante in klassischer L-Form durchsetzten konnte. Ich erinnere mich noch lebhaft an eine SKT, auf der mit Liebe zum Detail lebhaft über die Abstände der Geländerquerstreben diskutiert wurde! Im Herbst 1990 wurden im ehemaligen Notzimmer 40a auch die Kapellentoiletten eingebaut - für 30.000 DM aus Landesmitteln.

Die dabei zerstörte Absis über dem Flurwaschbecken kostete den Denkmalschützer sein Herzblut, und das aus dem TiHo-Etat bewilligte Geld raubte der TiHo-Verwaltung die Nerven. Wann sind wir diese unersättliche Bande endlich los? Aber infektiöse Hepatits (das Gesundheitsamt beanstandete die schlechten sanitären Verhältnisse) ist letztendlich doch ein gewichtiges Argument. Im gleichen Jahr wurde auch die Bühne eingebaut, Vorhänge genäht und 100 Stühle aus sozialistischen Restbeständen angekauft - weitere Bausteine zum Kulturzentrum Kapelle, dessen erster Betreiber Wolfgang Werner (genannt "Der Calenberger") und seine Werkstatt zur Galerie Calenberg wurden - aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Michael Schimanski im Jahre 1997

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letzte Aktualisierung am: 27.07.2011