Hannovers selbstverwaltetes Studierendenwohnheim


1978 - 1983: Die Vereinsgründung

Schwesternhäusliche Erweckungsstunde

vor unserer Zeit war eigentlich nichts, nur prähistorisches Dunkel, eine Zeit ohne Überlieferung, ohne Schrift, ohne Bilder. Es gab eine Organisation, ich habe einen alten Häuptling beerbt. Wenn ich es noch recht weiß sogar in einer Abstimmung. Es gab schon eine Struktur. Da waren die beherrschenden Flurversammlungen. Das waren die Großfamilien mit ihren jeweiligen Patriarchen. Und eben jene Patriarchen schufen sich einen Hausmaier einen Häuptling --- nein doch mehr Hausmaier, also Hausverwalter, Heimleiter oder Heimsprecher. Zu sprechen oder zu sagen hatte der eigentlich weniger, eher: zu kommunizieren! Daß wenn jetzt z.Bsp. eine vom ersten Flur bei einem im Dritten zu Gast war und feststellen mußte, daß in der dortigen Wohnung nun auch der schöne Kachelofen bis auf einen aschig-krümeligen Bodensatz verschwunden ist, jene ihrem Flursprecher diesen Vandalismus beklagt, wobei sich jener Flurfürst --- wo er eigentlich wichtigeres zu tun hat! --- dem Hausmaier, also dem Heimleiter oder -sprecher oder -so mitteilt, dieser aber bei dem Versuch, den dortigen Flurfürsten über den Raub in Kenntnis zu setzen, feststellen muß, daß dort der Fürstenthron seit gleicher Zeit vakant wie der Ofen vom Fleck weg ist.

Das dortige herrenlose Völkchen war sich aber seiner (Sprecher) - Sprachlosigkeit gar nicht recht bewußt, weil zur einen Hälfte ausgewachsene, vagabundierende Doktoranten, die sich ihrer Mietsache aufgrund einer zeitraubenden Doppelbelastung in Institut und nährender Praxis-vertreter-tätigkeit nur am Rande widmen konnten, zur Andern es sich wegen basisdemokratischer Überbefleißung zur Wahl eines neuen Flursprechers für inkompetent erklärte.

Ich war dem bunten Großvolk über drei-vier Jahre Heimsprecher, zwang ihm mit teutonischer Gründlichkeit eine Verfassung auf, welche sich dadurch auszeichnete, daß obige Vergehen dem Vergeher als solche bewußt wurden.

Dem aus dem dunkelnden Mittelalter gleichsam in das Licht der Neuzeit tretenden Schwesternhäusler traf die Bürde dieser unvergleichbaren Steinhaufen-Last derart, daß er sich --- da die Geigen schon mal gestimmt und dann schnell ein „Gesetzle“ gespielt ist --- eine Überorganisation schuf: Den Schwesternhausverein!

Nun ja, gut zwei Drittel der Benutzer-Bewohner stand diesem Artefakt gleichgültig bis mitleidend belächelnd gegenüber, doch wir, die Wasserträger, waren ausreichend geübte Phantasten, die ihre Lust am Genuß der Teilhabe irdischer Güter herausforderten.

Überhaupt war die Lust das bestimmende Prinzip: Und die unlustigten Brüder und Schwestern waren selten zu sehen. Mit derselben Behendigkeit an Ausreden, mit welcher sie den Vollversammlungen leider fern bleiben mußten, witschten sie dir auch in den Fluren aus. Es sind mir manche langjährige Mitbewohner nur durch die Visage ihrer Wohnungseingangstür bekannt. Und doch gab es Umstände, welche den einen oder andern dieser scheuen Art in das Rampenlicht von Versammlungen trieb: So z. Bsp. Die wahnwitzige Idee, die Lust nach Badeluxus unserer Mit-Flur-isten in gemeiner Weise auszunutzen, indem wir die in Rost und Kalk erstarrte Reichswehrdusche durch ein gefälligeres Nachkriegsmodell ersetzten und obendrein als Ausdruck unserer epikuräischen Neigung eine BADEWANNE installierten nebst einer für damalige Verhältnisse revolutionärer Einrichtung: eine HEIZUNG! Und das alles ohne vorherige Beantragung, Abstimmung, Diskussion, Fristen, geänderter Fassung, Gegenrede und anderlei basisdemokratischem Gewurstel. Wir wollten nur die drei-vier-Hundert-Mark wiederhaben, welche wir vorstreckten. Andernfalls wären wir gerne bereit, den alten Zustand wiederherzustellen. Das Gebrüll der scheuen Flur-Rehen u. Böckchen empfanden wir nur als laues Lüftchen und die normative Kraft des Faktischen ließ viele weitere, immer kapriziösere Bade- u. Duschanstalten in anderen, bisher öden Fluren sprießen. Ja es wuchs sich zu einem regelrechten Wettbewerb aus und gefällige Gegenbesuche zu andern-flurigen SPRITZ - BADE - u. NASS-VERGNÜGUNGEN waren sicherlich nicht einem gesteigertem Reinigungsbedürfnis zuzuschreiben.

Die Vergnügungen fanden schließlich auch andere Ebenen, aber das Ross, das einmal bestiegen, fand nach uns weitere lustig, wackere Streiter, wie ich - in zeitlicher u. räumlicher Ferne - in unregelmäßigen Botschaften - als gebliebenes Schwesternhausvereinsmitglied - erfahre.

Das Schwesternhaus hat mein Leben nachhaltig mitgeprägt: Es gab meinen Anlagen Boden, Wasser und Luft! Hier lernte ich erst richtig schreiten, schwimmen u. schnaufen... aber auch steiten, singen u. saufen     

Ein guter Schluß ziert alles!

Helmut Klotzbücher im Juni 2011


letzte Aktualisierung am: 19.09.2011