Hannovers selbstverwaltetes Studierendenwohnheim


Benutzeranmeldung

Geben Sie Ihren Benutzernamen und Ihr Passwort ein, um sich an der Website anzumelden:
Anmelden

Das Haus ohne Klingel

Bist du bekloppt? Arbeiten und dann auch noch freiwillig? Wohnen da nur Frauen? Gemeinschaft im Wohnheim, wo gibt’s denn so was? Ist das 'n christliches Heim?  Was ist das denn für'n komischer Name: Schwesternhaus...?

Es ist immer wieder eine Freude, die unterschiedlichsten Reaktionen zu hören, sobald ich erläutere, wo genau in Hannover ich untergekommen bin. Aber der Reihe nach.

Mein offizielles Leben als Schwester begann an einem grauen und unfreundlich kalten Dienstagabend im Dezember. Flurversammlung in der Teestube. Etwas schüchtern betrat ich den Raum. Nach und nach trudelten meine zukünftigen NachbarInnen ein. Ich musste nur diese Versammlung überstehen, dann hätte ich es geschafft. Minuten wurden zu Stunden. Teetassen klapperten, leises Gemurmel. Mein Herz pochte so laut, es war unmöglich, dass die anderen es nicht schlagen hörten. Zum Glück war ich nicht der einzige Neueinzieher an diesem Abend. Steffi  bewarb sich gleichzeitig um die Nr. 42. Wie gefühlte 98 Prozent der anderen Bewohner ebenfalls eine Tiermedizinstudentin. Schlechte Karten für mich als Journalistikstudent.

Eine kurze Vorstellung gestammelt und dann mit Steffi ab vor die Tür. Geheime Wahl. Eine halbe Ewigkeit diskutierten die Flurbewohner, während wir draußen warteten. Wir wurden wieder rein gerufen, aber nur um uns noch mal daran zu erinnern, dass das Leben im Haus besonderes Engagement erforderte. Meine Hände zitterten ein wenig, als wir danach wieder in die Teestube traten. Unter dem Pulli klebte das Hemd schweißnass am Rücken. Doch dann die Erleichterung: Angenommen, wenn auch knapp. „Herzlich willkommen im Schwesternhaus, Herr Nachbar!“

Nun war Renovieren angesagt. Fensterbänke lasieren, Türrahmen schleifen und vor allem neue Farbe an die Wände. Eine Leiter musste her. Doch woher nehmen, wenn nicht stehlen? Zum Glück gibt es für jede erdenkliche Aufgabe im Schwesternhaus ein Amt. Kellerwart, Kassenwart, Kacktütenwart (Ja, den gibt es wirklich und seine/ihre Aufgabe ist dafür zu sorgen, dass unser schöner Vorgarten immer sauber bleibt. Sollte mal einer der zahlreichen Hunde etwas auf dem Rasen hinterlassen, muss der Besitzer nicht gleich mit der blanken Hand zugreifen, sondern kann die bereitstehenden Kacktüten zur Entsorgung nutzen.)  – an alles ist gedacht, natürlich auch an die Hüter des Werkzeugkellers. Also machte ich mich auf den langen Weg hinab zur Wohnung 1, wo ich vergeblich nach Karim klopfte. Er war nicht da. Etwas enttäuscht schleppte ich mich die Treppe wieder hinauf. Schließlich gab es noch mehr Bewohner, die Leitern verleihen konnten. Ein Werkzeugwart auf jeder Etage. Langsam festigte sich bei mir die Annahme, die Verteilung der drei Werkzeugwarte über alle Etagen diene allein dem Konditionstraining der schlappen Neueinzieher. In der dritten Etage hatte ich Glück. Endlich geschafft, die richtige Leiter gefunden und ab damit in die eigene Wohnung Nr. 26.

Schema des ersten Flurs

Altbauwohnungen sind wunderschön, dachte ich. Altbauwohnungen haben verboten hohe Decken, spürte ich, nachdem auch die letzte Wand einen frischen Anstrich erhalten hatte. Aber die Arbeit lohnte sich. Die Wohnung war fertig, nur noch ein wenig leer. Herd, Bett, Schaukelstuhl – was braucht ein Student mehr? Nette Nachbarn natürlich. Davon wimmelt es im Haus. Egal ob Eistee, Akkuschrauber oder ein offenes Ohr zur richtigen Zeit. NachbarInnen haben einfach alles parat. Viele von ihnen lernte ich bei meinen ersten Putzdiensten im Flur und Bad kennen. Es ist schon ein Phänomen, dass stundenlang keine Menschen- oder Hundeseele in den Fluren zu sehen ist, aber sobald man mit dem Wischen begonnen hat, plötzlich alle über den nassen Boden hüpfen müssen. Seltsam ist das schon, aber es bietet auch die wunderbare Gelegenheit die aktuellsten Neuigkeiten des Hauses abseits der HVV zu erfahren. HVV? Nach der recht überschaubaren Runde der Flurversammlung finden sich auf der Hausvollversammlung Bewohner aus dem ganzen Haus zusammen, um basisdemokratisch über Alles und Jeden zu argumentieren, zu diskutieren, zu streiten. Zur Zustimmung wird mit den Händen gewedelt und abgestimmt wird mit einem oder zwei erhobenen Armen. Bei meiner ersten HVV überforderte mich die gelebte Selbstverwaltung noch etwas, aber auch als Neueinzieher findet man sich schnell zurecht und auf jeder Versammlung auch Gehör.

Da meine Wohnung jetzt komplett war, war es nur folgerichtig, sie mit der ersten Party gebührend einzuweihen. Dazu lud ich neben den Schwesternhäuslern natürlich auch meine Studienkollegen aus der Fachhochschule ein. SH meets FH.

„Und nicht vergessen, ihr müsst mich kurz anrufen, wenn ihr da seid, dann kann ich 'runter kommen und euch die Tür aufmachen. Es gibt nämlich keine Klingel an der Haustür.“ Verständnislose Blicke meine KommilitonInnen. „Keine Klingel? Bist du sicher, dass du da wirklich wohnen willst?“

Am 10. März, gut eine Woche bevor Eisbär Knut in Berlin ertrank, war es soweit. Mit einem lockeren Abend wurde meine neue Wohnung eingeweiht. Trotz anfänglicher Zweifel folgte auch eine Hand voll FH-Studenten der Einladung ins Schwesternhaus. Ins gruseligste Haus Hannovers, wie eine Kommilitonin meinte. Dabei hatte ich ihr noch nicht einmal den düsteren Keller gezeigt. Unser einmalige Keller, der immer wieder für Überraschungen gut ist. Wo man im Tischtenniskeller die Biokartoffeln und direkt neben den Gartenmöbeln den bis an die Decke gestapelten Klopapiervorrat findet. Staubige Stunden erlebte ich dort, als ich mit Marion aus der WG 106 oder im Schwesternhausjargon kurz Marion 106 meine ersten Arbeitsstunden ableistete. Denn gerade Arbeitsstunden sind es, die das Haus am Leben und die Mieten niedrig halten. Jeder Bewohner trägt so seinen Anteil am Bestand des Hauses und lernt ganz nebenbei noch praktische Fertigkeiten fürs Leben nach dem Studium.

Im Schwesternhaus kann man mit allem rechnen, aber nichts planen. Natürlich ist der Spruch total übertrieben, aber er bringt den einzigartigen Charme dieses Wohnheimes auf dem Punkt. Einem Haus, in dem die Bewohner nicht nebeneinander sondern miteinander leben.

Christoph Niekamp im Jahre 2011

Nach oben


letzte Aktualisierung am: 18.05.2017